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arcAKTUELL 4.2012 - Raumbezogene Aspekte gesellschaftlicher Fragen

S C H W E R P U N K T16 Interview mit Prof. Dr. Gert G. Wagner, DIW Berlin, zum Thema „Demografische Forschungsdaten“ Esri: Prof. Wagner, für welche Zwecke wer- den im Deutschen Institut für Wirtschaftsfor- schung (DIW Berlin) Geodaten in Verbin- dung mit statistischen Daten verwendet und mit welchem Ziel? Wagner: Unser Institut beschäftigt sich ja überwiegend mit wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fragestel- lungen, insofern interessieren wir uns nicht für die Geodaten an sich; auch nicht für die räumliche Verteilung sozioökonomischer Merkmale im Detail. Georeferenzierte Daten sind vielmehr Hintergrundvariablen, mit deren Hilfe menschliche Verhaltensweisen besser beschrieben wer- den können als ohne geografische Merkmale. Ein Beispiel: Armut hängt nicht nur davon ab, wie alt man ist und wel- chen Bildungshintergrund man hat, welchen Beruf man ausübt und ob man arbeitslos ist. Armut hängt auch davon ab, in welcher Gegend man lebt. Und es gibt Hinweise darauf, dass es schwerer ist, der Armut zu entfliehen, wenn man in einer Gegend lebt, die als schlecht gilt: Denn dadurch wird man stigmatisiert. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung georeferenzierter Kontextmerkmale: Die Gesundheit von Kleinkindern hängt davon ab, ob die Eltern rauchen; sie hängt aber auch davon ab, wie die Luftqualität in der Gegend ist, wo die Kinder leben. Und Infor- mationen über die örtliche Luftqualität kann man heutzutage mit geo- referenzierten Daten in statistische Analysen menschlichen Verhaltens einbringen. Esri: Das heißt, im Ergebnis Ihrer Arbeit stehen sowohl mehr Transpa- renz über die Wirkungszusammenhänge als auch Handlungsempfeh- lungen, die sich an die Politik richten, aber durchaus auch an die Gesell- schaft und Bürger? Wagner: Ja. Wenn sich zum Beispiel zeigt, dass jemand Einkommens- armut oder Arbeitslosigkeit schwerer entkommen kann, weil er in einer stigmatisierten Gegend lebt, dann ist dies ein klarer Hinweis darauf, Ar- beitslose und Sozialhilfeempfänger besser nicht in speziellen Gegen- den zu konzentrieren. Vielmehr sollte es großzügigere Regelungen für Mietzuschüsse an Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger geben, damit sie in „normalen Wohngegenden“ weiterleben können. Esri: Stehen denn für diese Fragen nicht bereits genügend Daten zur Verfügung? Es gibt doch das Statistische Bundesamt, die statistischen Landesämter sowie die Internetdatenbank GENESIS-Online und diver- se Open-Data-Portale. Warum reicht das nicht aus? Wagner: Die Verfügbarkeit der Geodaten reicht nicht aus. Denn es müssen in den Datensätzen, mit denen man Arbeitslosigkeit, Einkom- mensverteilung oder Gesundheit analysiert, Georeferenzen enthalten sein. Man muss also wissen, wo jemand wohnt, der in einer statistischen Erhebung zu finden ist. Das ist bislang selten der Fall, es ist auch schwie- rig. Die Verknüpfung von statistischen Individualdaten, zum Beispiel von Personen oder Firmen, muss nämlich anonymisiert geschehen. Das heißt, der Zugriff auf georeferenzierte Statistikdaten muss ganz beson- ders geschützt und kontrolliert sein. Das hat jetzt der Gesetzgeber auf den Weg gebracht. Bislang sind aber so gut wie keine amtlichen Statis- tikdaten georeferenziert. Und auch die meisten wissenschaftlichen Er- hebungen, insbesondere im Bereich der Gesundheitswissenschaft, sind nicht georeferenziert, obwohl das wie gesagt sehr hilfreich wäre. Ein höchst banaler, aber auf die Praxis bezogen gravierender Punkt ist, ob man als Nicht-Geowissenschaftler die georeferenzierten Kontext- daten – wie ich das nenne – überhaupt findet. Dazu muss man erst ein- mal wissen, wo man suchen soll. Und wenn man die Geodaten gefun- den hat, müssen sie in einem Format vorliegen, das für Nicht-Geografen auch leicht weiterzuverarbeiten ist. In beiden Bereichen stehen wir erst am Anfang. Von der sozialwissenschaftlichen Praxis aus betrachtet bedeutet das: Es reicht nicht, sich auf dem Computerbildschirm bunte Karten ansehen Räumliche Bezugsrahmen für STATISTISCHE DATEN

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