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arcAKTUELL 4.2012 - Raumbezogene Aspekte gesellschaftlicher Fragen

S C H W E R P U N K T 11 „Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen, wie sie sind.“ Max Frisch, Homo faber, 1957 Wer wollte ernsthaft bestreiten, dass gesellschaftliche He- rausforderungen und Konflikte räumliche Aspekte und Ausprägungen haben? Das ist keine sonderlich neue Er- kenntnis. Wer will, kann heute schnell und einfach mit On- line-Diensten Mash-ups produzieren, die ein tagesaktuelles Thema auf die Karte bringen. Zugleich haben Geoinforma- tionssysteme starke Verbreitung gefunden und sind vielen bekannt als Werkzeug zur räumlichen Analyse, zur Planung, für Geodesign und Decision Support. GIS sind in vielen Fällen Teil der Lösung, wenn es um die großen gesellschaft- lichen Themen wie Energiewende, demografischer Wandel oder Verkehrsinfrastruktur geht. Natürlich tut es dem Selbstbewusstsein der GIS-Branche gut, immer wieder in solche großen gesellschaftlichen The- men eingebunden zu sein. Damit ist aber auch eine Politi- sierung verbunden, und alle Beteiligten müssen sich fra- gen, ob sie dem gewachsen sind. Im Bereich der Forst- und Landwirtschaft etwa treffen unterschiedlichste Wertvorstel- lungen aufeinander über Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Ökologie, die sich alle mit GIS-Mitteln stützen lassen. Aber weder Förster oder Landwirte noch Informatiker wer- den normalerweise dafür ausgebildet, mit politischen Kon- flikten umzugehen. Vor zwei Jahren wurde die gesamte Geoinformatik-Branche völlig unvorbereitet von der Debatte um Google Street View getroffen. Street View wurde von der Presse als Gene- ralangriff auf die persönliche Privatsphäre dargestellt und Geoinformation wurde gleich generell stigmatisiert. Und das, obwohl der Umgang mit Personendaten in der Bran- che nichts Neues war – man denke etwa an das Liegen- schaftskataster – und nie irgendwelche größeren Probleme verursacht hatte. Der Presserummel kam überraschend. Das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit etwa, das 2005 in Kraft getreten war und das das Bankgeheimnis in Deutschland deutlich einschränkte, hatte wesentlich weni- ger öffentliche Aufmerksamkeit erhalten. Waren Straßen- fassaden plötzlich intimere Personendaten als Kontover- bindungen und Kontosalden? Neben den Risiken des öffentlichen Diskurses eröffnen sich auch große Chancen. Transparenz ist gefragt. Der heutige Bürger akzeptiert nicht einfach Entscheidungen, nur weil die Regierung die politische Mehrheit repräsentiert. Man tut also seitens der Politik gut daran, frühzeitig und offen zu kommunizieren. Mit mehr Transparenz, mit einer Open- Data-Politik und mit dem heute vereinfachten Zugang zu GIS in der Cloud nimmt natürlich das argumentative Arse- nal zu. Wir erleben dann auch Situationen, in denen zwar mit korrekten Fakten argumentiert wird, aber mangels aus- reichender fachlicher Kompetenz mit zweifelhaften Interpre- tationen. Doch solange Diskussionen über Sachargumente geführt werden, bleibt eine Konsensfindung möglich. Die Zeit des Homo faber geoinformaticus ist endgültig vor- bei. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Geoinformatik nicht in einem unpolitischen und konfliktfreien Raum statt- findet und dass wir damit selbst sehr schnell in politische Debatten einbezogen werden, auch gegen unseren Willen. Die Geoinformatik braucht daher ein Wertefundament, das ihre speziellen Aufgaben berücksichtigt, das allgemein ver- ständlich ist und das politisch wahrgenommen und unter- stützt wird. Es ist Zeit für eine Ethik der Geoinformatik. Ansätze und Entwürfe dazu gibt es bereits, etwa den 2004 vom amerika- nischen GIS Certification Institute (GISCI) veröffentlichen GIS Code of Ethics. Hier liegt eine große Aufgabe für die einschlägigen Berufsorganisationen, Fachverbände und runden Tische. Denn die nächste Pressekampagne oder der nächste Internet-„Shitstorm“ kommt bestimmt. Und sicher ohne Vorwarnung. Peter Ladstätter Esri Deutschland GmbH Kranzberg ++ HOMO FABERGeoinformaticus

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